«Die Kehrichtverbrennungsanlagen sind Umweltschutzanlagen »
Bastien Girod ist Umweltwissenschaftler und vertritt seit Dezember 2007 die Grüne Partei im Nationalrat. Der in Genf geborene Zürcher hat sich beruflich und politisch auf die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft spezialisiert. Seit Mai 2018 ist er Präsident des Verbandes der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen (VBSA).
PETflash: Herr Girod, was sind die aktuellen Herausforderungen der Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA)?
Bastien Girod: KVA sind mit vielen teilweise entgegengesetzten Forderungen der Anspruchsgruppen konfrontiert. Sollen die Abfallgebühren höher oder tiefer sein? Wie viel Metall soll aus der Abfallschlacke zurückgewonnen werden («Urban Mining »)? Wie stark dürfen KVA in die Nutzung der Abwärme investieren? Hier gilt es zu vermitteln. Eine weitere aktuelle Herausforderung ist die Plastikverschmutzung im Grüngut. Diese führt dazu, dass immer mehr Grüngut nicht kompostiert werden kann, sondern verbrannt werden muss. Das läuft den Forderungen der Kreislaufwirtschaft entgegen.
In welchem Bereich können die KVA einen Beitrag zu mehr Umweltschutz leisten?
Die KVA sind Umweltschutzanlagen. Sie verhindern, dass Abfall über Deponien das Grundwasser und die Luft verschmutzt. KVA gewinnen auch immer mehr Strom und Wärme zurück und reduzieren so den Bedarf an fossilen Energien. Neu wird auch Metall zurückgewonnen. Die Forschung geht immer weiter und sucht nach Möglichkeiten, wie noch mehr Wärme und Materialien aus den Abfällen gewonnen werden können.
Viele Ihrer Parteikolleginnen und -kollegen wollen das Kunststoffrecycling fördern. Der Geschäftsführer des VBSA hingegen verglich den Nutzen der Kunststoffsammlung mit dem Effekt einer Maus, die ins Meer pinkelt. Wie gehen Sie mit diesem Konflikt um?
Ich sehe einen Teil meiner Rolle als VBSA-Präsident, zwischen den verschiedenen Positionen zu vermitteln. Mehr Kunststoffrecycling ist grundsätzlich sinnvoll. Gleichzeitig muss aber das Verhältnis zwischen Kosten und Umweltnutzen im Auge behalten werden. Auch darf nicht sein, dass die Bevölkerung aufwendig Kunststoff trennt, fürs Recycling bezahlt und der Kunststoff anschliessend nicht oder kaum rezykliert, sondern thermisch verwertet – sprich verbrannt – wird.

Heute werden trotz moderner Sortier- und Aufbereitungsanlagen zwischen 50 bis 75 Prozent des Sammelguts aus gemischten Kunststoffsammlungen verbrannt. Trotzdem sprechen die Anbieter von Kreislaufschliessung und Recycling. Sehen Sie das auch so?
Wichtig ist, dass den Konsumenten transparent gesagt wird, wie viel wirklich rezykliert wird – denn dafür bezahlen sie ja den Aufpreis. Doch auch 25 bis 50 Prozent stoffliches Recycling sind mehr als 0 Prozent und somit ein Beitrag zur Kreislaufschliessung. Die Verwertung in Zementwerken ist sinnvoll, wenn dadurch fossile Energieträger, insbesondere Kohle, ersetzt werden können. Gerade im Ausland hat dieser Ansatz viel Potenzial. In der Schweiz ist die Differenz wegen unserer effizienten KVA kleiner.
Wenn in den Zementwerken mehr Kunststoff und dafür weniger Kohle verbrannt wird, entsteht also Umweltnutzen. Können die KVA da mithalten?
Ich möchte Zementwerke und KVA nicht gegeneinander ausspielen. Zementwerke können froh sein um die KVA, weil diese viele derjenigen Abfälle entsorgen, die Zementwerke nicht verbrennen können. Umgekehrt gibt es auch Materialien, bei denen die KVA froh sind, dass die Zementwerke diese übernehmen. Ein Vorteil der KVA ist deren oft zentrale Lage, welche es ihnen erlaubt, zusätzlich zur Stromproduktion auch die entstehende Abwärme zu nutzen. Zudem gelingt es den KVA, immer mehr Stoffe aus den Abfällen zurückzugewinnen. Die Zementwerke sind im Emissionshandel eingebunden. Wenn wir ihnen nun Kunststoffe als Ersatzbrennstoffe quasi subventionieren, müssen gleichzeitig Emissionszertifikate aus dem Markt genommen werden, ansonsten bringt es für das Klima nichts, weil einfach anderswo mehr Emissionen ausgestossen werden können.
Wo sollte die Schweiz ansetzen, um in der Abfallbewirtschaftung effektiv Fortschritte zu machen?
Ich sehe vor allem drei grosse Herausforderungen: Erstens müssen wir mehr Bauschutt, aber auch Schlacke rezyklieren, weil es sonst immer schwieriger wird, genügend Deponieraum zu finden. Zweitens müssen wir das Problem der «Leckage» angehen. Es gelangen immer noch zu viele Fremdstoffe, vor allem Plastik, in die Umwelt. Hier braucht es ein Bündel an Massnahmen, um diese Lecks zu stopfen. Drittens müssen wir mit der Wirtschaft Lösungen finden, wie wir die Entstehung von Abfall an der Quelle reduzieren können.